Wie in vielen Texten dieses Blogs beschrieben, habe ich durch die Nähe zum Tod und das Überleben der Krebserkrankung recht krasse Erfahrungen gemacht, die ich mit den Wort „spirituell“ beschreibe. Damit meine ich eine verkörperte Erfahrung, dass ich Teil eines größeren Ganzen und in Verbindung mit dem Leben, der Natur und allen Erscheinungen bin.
Ich habe sehr viele Bücher gelesen und bin von einer spirituellen Guru-person zur nächsten gehüpft, habe mir unzählige Videos angesehen und endlos viele Stunden meditiert. Dies waren und sind sehr wertvolle Erfahrungen für mich.
Oftmals hatte ich aber irgendwie das Gefühl, dass meine queeren Anteile und mein sexuelles Wesen in vielen dieser Zugänge nicht wirklich Platz hatten. Es muss gar nicht sein, dass Sexualität dort aktiv abgewertet wird, aber meinem Eindruck nach, wurde dem einfach oft nicht so ein Stellenwert beigemessen und damit hatte ich auch das Gefühl, mit meinen sexuellen Themen allein zu sein.
Ich fragte mich, was wohl diese spirituellen Lehrer_innen dazu sagen, oder darüber denken, dass ich neben transzendentalen Erfahrungen noch immer Pornos schaue, auf Dating-Apps abstürze, versaute Phantasien habe oder mich für BDSM interessiere. Und ich fragte mich, ob sie politisch auf der Seite von queeren, trans* und nicht-binären Menschen stehen oder so Dinge auf dem Schirm haben.
Für einige Zeit während meiner beginnenden Auseinandersetzung mit Spiritualität, war ich sehr gestresst deswegen. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es einen Spalt in mir gibt. Auf der einen Seite gibt es diese sehr achtsame, spirituelle, verbundene, weiche Seite. Andererseits gibt es aber auch meine sex-positivem, „versaute“ und kinky Seite. Die eine schien in der jeweils anderen Sphäre oder Welt nicht vorzukommen bzw. sich gegenseitig auszuschließen.
Sex-Talk im Kloster
Ganz deutlich wurde dies bei einem Aufenthalt im buddhistischen Kloster Plum village, in Südfrankreich, wo ich 2016 eine Woche auf einem Achtsamkeit und Meditationsretreat verbracht habe und auch dieses Jahr bei einer Pilgerreise in Indien teilgenommen habe. Wie so ein Aufenthalt aussieht, habe ich genauer in einem anderen Artikel mal beschrieben.
Damals im Kloster gab es einen Nachmittag, an dem wir nach Geschlechter getrennt wurden. Dies löste bei mir großen Stress aus, da ich nicht wusste, wie heteronormativ der Nachmittag werden würde.
Nach einem kurzen Vortrag gemeinsam in einer Gruppe von circa 200 Männern*, wurden wir in mehrere Gruppen aufgeteilt, sodass wir immer etwa 20 Leute waren, die dann über „sexual energy“ also sexuelle Energie reden sollten. Der Mönch, der unsere Gruppe leitete erklärte, welchen Stellenwert das Zölibat für ihn in seiner spirituellen Praxis hatte und wie die Mönche und Nonnen lernten mit sexueller Energie umzugehen. Masturbation und Sex waren also verboten im Kloster. Das war für mich eine ganz neue Erfahrung, da ich noch nie mit einer Person wirklich Kontakt hatte, die so lebt.
Ich selbst bin ja ohne direkte religiöse Erziehung aufgewachsen und die Idee, dass Sex so etwas, wie ein Hindernis zu spirituellem Erwachen ist, war mir fremd. Sexualität war immer ein Tabu und darüber wurde nicht gesprochen, aber so direkte religiöse Normen kannte ich nicht.
Nun saß ich auf einmal in einem Kloster und war mit der Idee ganz nah konfrontiert, dass Sexualität als etwas angesehen wird, das zwar natürlich ist, aber trotzdem nicht zu sehr ausgelebt werden soll und irgendwie als Hindernissen oder Ablenkung auf dem Weg zur Erleuchtung angesehen wird.
Ich schätze die Plum Village Gemeinschaft sehr, da sie offen für queere Menschen sind und generell eine sehr große Offenheit herrscht. Es gibt dort aber einen gewissen Kodex als ethische Grundlage. Darin steht z.B. dass mensch möglichst vegan und ökologisch leben soll, mensch sich gegen sexuelle Gewalt und Diskrimierung einsetzen soll usw. Es steht darin beispielsweise auch, dass mensch Sex nur in monogamen Beziehungen leben soll, über die das Umfeld in Kenntnis gesetzt ist. Für mich wirkt das natürlich sehr heteronormativ und moralisierend.
Im Bezug auf Sexualität habe ich hier eindeutig gemerkt, wie krass diese Angst ist, als schwuler / nicht-monogam lebender Mensch als abweichend angesehen und ausgeschlossen zu werden. Das ist ja ein kollektives Trauma queerer Menschen und ich habe schnell und tief in mir abgespeichert, dass „Religion“ in meiner Querness etwas bedrohliches sieht.
Im Gesprächskreis unter Männern*
Aber zurück zum Gesprächskreis. Nachdem der Mönch eine Einleitung gegeben hat, ging es in einem „sharing circle“ so Kreis um. Während der Woche gab es jeden Tag mehrmals so Gesprächskreise, da das Teilen der eigenen Gefühle, Gedanken und Empfindungen in dieser Tradition als Kernelement der buddhistischen Praxis angesehen wird.
Meine Kollegen* sprachen über ihr Verhältnis zu Sexualität, und ihr Verhältnis zu Frauen. Dabei erzählten viele meiner Vorredner über krasse Ängste, Unsicherheiten, einige weinten und es war sehr emotional. Ich war total beeindruckt davon, wie viel meine cis-hetero Gesprächskreis-nachbarn über ihr Leid in Zusammenhang mit Sexualität sprachen. Es wurde so klar, wie selten sie diese Gelegenheit hatten, mit anderen Männern* in einer emotionalen und verletzlichen Weise über diese Themen zu reden. Das hat mich sehr beeindruckt und ich verstand, wie viel mehr solcher Räume nötig wären, um Heilung und gesellschaflichen Wandel zu bringen.
Jedenfalls wurde ich immer nervöser. Auch einige meiner Nachbarn* teilten in ihrem Redebeitrag, wie sie versuchten nur mit einer Person in einer Beziehung Sex zu haben, oder nicht oder wenig zu masturbieren, oder eben ihre sexuelle Energie „im Zaum zu halten“. Ich merkte, wie ich nervös und angespannt war, meine Atmung nicht sehr tief, und ich mir Sorgen machte, was ich jetzt sagen solle.
Jedenfalls war ich an der Reihe. Ich nahm meinen Mut zusammen und begann einfach zu erzählen. Ich erzählte, dass ich schon einmal ein Jahr keinerlei Sex hatte und fast keinen Sexdrive, da ich ein Jahr lang damit beschäftigt war, zu überlebenden . Ich erzählte, dass auch ich mich schon mit Pornokonsum, und den Auswirkungen auf das Selbsterleben, Lust, und sexuellen Fähigkeiten nachdachte. Ich erzählte, wie es für mich war, Krebs zu haben, Chemotherapie zu bekommen und fast keine sexuelle Energie und Lust mehr zu haben. Und wie ich deswegen Sexualität als Lebenskraft, und Quelle von Freude, Lebendigkeit und Lust auffasse und dies für mich etwas ganz Positives und lebensbejahendes ist.
Ich erzählte, dass ich schwul bin und keinerlei Anspruch habe, meine Sexualität nur in einer monogamen Partnerschaft zu leben. Ich erzählte, das ich verstehe, dass Sexualität sehr viel Leid erzeugen kann. Dass aber auch keine Sexualität zu leben, nicht den Sex, die Intimität und Nähe zu haben, die mensch sich wünscht oder sexuell unbefriedigt zu sein, sehr viel Leiden verursachen kann und. Für mich kann beides „Leid“ verursachen und ich empfinde es als sehr ermächtigend selbstbewusst und sexpositiv zu leben, wenn alles konsensuell, bewusst und im Einklang mit den eigenen Bedürfnissen passiert.
Ich erzählte auch, dass ich mich seit Jahren gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen einsetze, und weiß, dass die Beschämung, Tabuisierung und Unterdrückung von Sexualität ein zentraler Nährboden für sexuelle Gewalt ist. Ich thematisierte auch meine Erfahrungen mit dem Aufwachsen in einer heteronormativen Gesellschaft, in der queere Menschen ständig hören, dass sie und ihre Körper, Geschlechtsidentität und Sexualität falsch sind und ich mich gegen diese Botschaften wehre.
Und ich erzählte, dass mir Achtsamkeit sehr geholfen hat, auch meine Sexualität besser und nährender zu leben. Dass ich das erste Mal manchmal selber Ganzkörper Orgasmen beim masturbieren bekam. Dass ich durch Atmen und Embodiment Arbeit viel mehr im Körper spüren kann und auch mein sexuelles Erleben durch Achtsamkeitspraxis viel intensiver und schöner geworden ist.
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Ich legte meine Hände zur Gebetshaltung zusammen und verbeugte mich, um das Ende meines Sharings zu kommunizieren. In meiner Erinnerung hat es dem Mönch etwas die Sprache verschlagen und er wirkte sogar etwas defensiv. Danach passierte etwas Tolles. Mein Nachbar erzählte, dass er trans* ist und wie es ihm als Trans*mann geht, in einer Welt in der er für seinen Körper und Identität permanent um Akzeptanz kämpfen muss.
Ich fand das so mutig und der ganze Kreis hörte noch aufmerksamer zu, als vorhin schon. Der nächste und letzte Teilnehmer erzählte dann, dass er polyamourös lebt und mit mehreren Menschen intime Beziehungen lebt und auch mit den Normen zu Sexualität wenig anfangen kann.
Nach diesen Sharings fasste der Mönch nochmal ein paar Dinge zusammen und beendete die Sitzung. Er war sichtlich überrascht und nicht mehr ganz so „Zen“, wie am Anfang der Sitzung. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht damit gerechnet hat, dass doch drei sehr starke alternative Positionierungen hier Platz fanden. Aber er hat unsere Beiträge auch gewürdigt und so etwas gesagt, wie dass es Platz für verschiedene Zugänge gibt und solange wir an unserer Achtsamkeits-praxis arbeiten und mit Mitgefühl und Reflexion leben, alles möglich ist.
Jedenfalls haben wir Drei, die zuletzt gesprochen haben uns dann nach dem Meeting noch sehr ausführlich weiter unterhalten. Mein transmännlicher Nachbar hat sich so bei mir bedankt, dass ich queerness angesprochen habe und sagte mir, dass er dadurch sich auch getraut hat, sein Trans*sein anzusprechen. Wir haben darüber geredet wie wir Achtsamkeit,Spiritualität und so weiter für uns verstehen, und hatten eine sehr enge Verbindung.
Diese Woche Achtsamkeit im Kloster war eine ganz tolle Erfahrung und ich fühle mich dieser Gemeinschaft nach wie vor sehr verbunden. Und trotzdem merkte ich, dass ich mich nicht komplett „zuhause“ und richtig fühlte.
Ich merkte, dass ich ein Bedürfnis hatte, andere queere Menschen und schwule Männer* zu finden, die Spiritualität in ihre queeres Leben integrieren. Ich dachte mir, dass es doch sicher solche Menschen geben muss irgendwo.
Wie es so auf einer spirituellen Reise ist, habe ich mich dann weiter umgesehen. Ich habe dann einmal ganz einfach „schwul“ und „spirituell“ in google eingegeben und mich durch alle möglichen Seiten geklickt. Und ich bin deswegen schlussendlich in Berlin gelandet, was ich im zweiten Teil dieses Beitrags erzählen werde.