- Wie lebt es sich als schwuler Krebsüberlebender?
- Wie hat sich meine Körperwahrnehmung und sexuelles Empfindung nach der Erkrankung entwickelt und verändert?
- Wie habe ich Spiritulität und queere Sexualität zusammengebracht?
- Was hat Berührung mit Selbstwert und psychischer Gesundheit zu tun?
- Geht Spiritualität und schwule Sexualität zusammen?
- Wie wirkt sich Hochsensibilität auf Sex und Dating aus?
- Was ist das Konsensrad und was bedeutet Konsens in schwulen Kontexten?
- Wie wirkt sich die PreP auf meine Sexualität aus?
- Wie erging es mir beim ersten Mal in einem schwulen Sexclub?
- Warum habe ich entschlossen Kuschel-escort zu werden?
- Was habe ich in einer schwulen Sauna über mich und Selbstakzeptanz gelernt?
- Das erst mal Ecstasy:Kann mensch Substanzen achtsam konsumieren?
- Was ist pleasure activism?
Wie in vielen Texten dieses Blogs beschrieben, habe ich durch die Nähe zum Tod und das Überleben der Krebserkrankung recht krasse Erfahrungen gemacht, die ich mit den Wort „spirituell“ beschreibe. Damit meine ich eine verkörperte Erfahrung, dass ich Teil eines größeren Ganzen und in Verbindung mit dem Leben, der Natur und allen Erscheinungen bin.
Für einige Zeit während meinem Beginn und Auseinandersetzung mit Spiritualität, war ich in Bezug auf mein sexuelles Selbst immer wieder gestresst. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es einen Spalt in mir gibt. Auf der einen Seite gibt es in mir die sehr achtsame, spirituelle, verbundene, weiche Seite. Andererseits gibt es aber auch versaute und kinky Anteile. Ich möchte Sexualität ausleben, ausprobieren, und interessiere mich für sexpositive Events, hedonistische Erfahrungen, schwules Cruising und alle solche Aspekte, die gesellschaftlich lange zeit unterdrückt und beschämt wurden. Diese Anteile wirken wiederum oft widersprüchlich zu meiner hochsensiblen Seite.
Ich hatte immer den Eindruck, dass in der schwulen Welt kein oder nur wenig Platz für Achtsamkeit und Spiritualität ist. Und in vielen Kontexten von Meditation, Buddhismus wurde Sexualität wenig Platz eingeräumt, oder wenn, dann nur in einem ganz „heiligen“ und/oder heteronormativen Sinn.
Ich habe sehr viele Bücher gelesen und bin von einer spirituellen Guru-person zur nächsten gehüpft, habe mir unzählige Videos angesehen, viele Workshops und Retreats besucht und endlos viele Stunden meditiert. Dies waren und sind sehr wertvolle Erfahrungen für mich.
Oftmals hatte ich aber eben das Gefühl, dass meine queeren Anteile und mein sexuelles Wesen in vielen dieser Zugänge nicht wirklich Platz hatten. Es muss gar nicht sein, dass Sexualität dort aktiv abgewertet wird, aber meinem Eindruck nach, wurde dem einfach oft nicht so ein Stellenwert beigemessen, oder nur in einem normativen Korsett. Oft hatte ich das Gefühl mit meinen sexuellen Themen allein zu sein.
~
Nun hatte ich diese „spirituellen“ Erfahrungen mit Krebs gemacht und machte mich auf die Suche nach schwulen und queeren Menschen, die damit auch etwas anfangen konnten. Ich habe irgendwann mal in Google „schwul + Achtsamkeit + Spiritualität“ eingegeben und mich durch verschiedene Angebote und Menschen geklickt, die es so gibt. Mein Weg hat mich nach Berlin verschlagen, wo ich durch ein Community Zentrum und viele spannende Menschen, die diese Themen verbinden, ein neues Zuhause fand.
Ich lernte Menschen kennen, die BDSM und Spiritualität verbinden und in ihrem Sklaven-Da*sein ihre Mitte erleben. Ich lernte schwule Schamanen kennen, die mit Aufstellungs-Arbeit und Ritualen versuchen das kollektive queere Trauma zu bearbeiten, als „Fehler“ der Schöpfung angesehen, ausgegrenzt und getötet zu werden. Ich lernte darüber, dass interessante psychischen Mechanismen und Prozesse hinter sexuellen und erotischen Phantasien und Skripten stecken können. Ich lernte darüber, kritischer und genauer zu erforschen, was Einvernehmlichkeit bedeutet und mit patriarchalen Strukturen zu tun haben. Ich lernte viel über die Perspektive von nicht-binären und Trans*menschen und darüber, wie Geschlecht und Gender so vielfältig sein können. Ich lernte mehr und mehr zuzuhören, über die Erfahrungen von queeren Menschen of color, darüber wie Rassismus in queeren Szenen wirkt und in spirituellen Kontexten ausgeblendet wird. Ich lernte mehr und mehr meine Gefühle und wahren Bedürfnisse wahrzunehmen und diese auch zu kommunizieren. Und ich lernte, dass Berührung, Intimität, Körperlichkeit und Sex heilsam und empowerned sein können.
Schlussendlich habe ich nach der Phase des Überlebenskampfes und Rehabilitation von der Krebserkrankung für mich entdeckt, dass diese Verschränkungen zu erkunden, mein Lebens- und Heilungsweg ist. Ich habe viele intensive Erfahrungen gemacht, Workshops, Festivals und Trainings besucht und beschlossen mich selbst beruflich in dem Bereich queerer Körperarbeit selbstständig zu machen und als professioneller Kuschler* / Berührer* zu arbeiten.
Ich habe entdeckt, dass ich überall sehr tiefgründige Erfahrungen machen kann, nicht nur bei der Meditation oder auf einem Achtsamkeits-seminar. Ich habe total wichtige Erfahrungen gemacht, beim Ausgehen, bei der Reflexion meines Verhaltens auf Dating-Apps, in schwulen Saunen oder einem Sexclubs. Spiritualität und tiefe Erkenntnisse sind Teil allen Erscheinungen des Lebens, besonders auch in den „schmutzigen“, vermeintlich unachtsamen und beschämten Aspekten.
Ich spreche mit meinen engen Freund_innen die ganze Zeit über Fragen, wie ich sie am Anfang dieses Texts aufgelistet habe. Und darüber, wie – mensch die eigene Sexualität und Queerness selbstbewusst, lustvoll, authentisch und in Übereinstimmung mit den eigenen Werten und Bedürfnissen leben können.
Ich möchte zusammen mit anderen Menschen Dialog und Auseinandersetzung mit bewusster Sexualität fördern und hoffe, dass auf diesem Blog etwas Interessantes für dich dabei ist! Viel Spaß beim Lesen. Nimm auch gerne bei Fragen, Kritik und Anregungen Kontakt mit mir auf!