Weißes Schweigen brechen, Scham überwinden
„In a racist society it is not enough to be non-racist. We must be anti-racist.“
„In einer rassistischen Gesellschaft ist es nicht genug (nicht)-rassistisch zu sein. Wir müssen antirassistisch sein.
Angela Davis
Hinweis 1: Dieser Text ist von mir aus einer weißen, cis-männlichen Perspektive im Kontext dieses Blogs eines hochsensiblen, queeren Krebsüberlebenden geschrieben. Darin reflektiere ich ein paar meiner momentanen Gefühle und Auseinandersetzungen mit meinem Weiß-sein und dem System weißer Vorherrschaft. Ich schreibe das hier, damit Leser_innen die Schwarz, of colour sind, und Menschen, die Rassismuserfahrungen machen, entscheiden können, ob sie gerade Bock haben sich Reflexionen einer weißen Person durchzulesen, oder nicht.
Mit dem Text möchte ich einen Beitrag zur Heilung und Transformation dieses Unrechts- und Gewalt-Systems beitragen!
Hinweis 2: Aus Respekt vor den ermordeten Menschen, möchte ich im Bewusstseins von „saytheirnames“ die Namen der jüngsten Todesopfer der rassistischer Polizeigewalt in den USA und die der neun Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau in Deutschland vom 19.Februar 2020 nennen und in Erinnerung halten:
Tony McDade, George Floyd, Ahmaud Arbery, Breonna Taylor, Ferhat Ünvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Said Nesar El Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kalojan Welkow, Vili Viorel Paun, Fatih Saracoglu.
Hinweis 3: Dieser Text wird unvollständig, unperfekt, fehlerhaft sein und dem Thema sicherlich nicht gerecht werden. Es gibt tolle Initiativen und Vereine, die Materialien für weiße und nicht-schwarze Menschen bereitstellen,sich zu dem Thema zu informieren und aktiv zu werden. Ein paar Ressourcen verlinke ich am Ende. Ich schreibe diesen Artikel mit (m)einem persönlichen und emotionalen Zugang mit dem Ziel mit weißen Menschen, in den Dialog über strukturellen Rassismus zu treten.
Gerade bin ich wiedermal überwältigt von so vielen Gefühlen und Gedanken, so dass mein Körper und Geist die letzten Tage für wenig zu gebrauche war. Neben meinem persönlichen Prozess an meiner beruflichen Zukunft während der Covid-19 Pandemie zu feilen, den damit einhergehenden Ängsten, Hochs und Tiefs, beschäftigt mich der Mord an Georg Floyd, und der an unzähligen anderen Schwarzen Menschen vor ihm durch die Polizei in den USA und die damit einhergehenden derzeitigen Proteste. Zusätzlich habe am Wochenende erfahren, dass meine noch nicht Mal drei Jahre alte Nichte schwer erkrankt ist.
In diesem ganzen Gefühlswirrwarr ist es mir ein Anliegen gewesen, diesen Text zu verfassen. Gerade entsteht eine große Welle an Solidarität und mehr kollektives Bewusstsein darüber, dass Rassismus ein Jahrhunderte altes System ist, das weiße Menschen entwickelt haben, um Kolonialismus, Ausbeutung und Kapitalismus zu legitimieren. Deswegen ist Rassismus nicht das Problem Schwarzer Menschen, sondern weiße Menschen, müssen aktiv sein und werden dieses System zu transformieren.
Ich schreibe diesen Text in meiner Rolle als weißer Blogger der Krebs überlebt hat. Ich habe am eigenen Leid erfahren, wie viel Leid und Schwierigkeiten sowieso schon im Leben an sich enthalten sein kann. Zusätzlich zu all dem, was das Leben so bringen kann, müssen sich Schwarze Menschen, People of color und Menschen, die Rassismuserfahrungen machen, zusätzlich immer auch noch mit Rassismus herumschlagen. Das ist permanente Gewalt, ungerecht und ich möchte dazu beitragen, dass dieses System aufhört und alle Menschen gleichberechtigt leben können. Los geht’s:
Auf meiner ersten „Black lives matter“ Demo – Weißes Schweigen ist Komplizenschaft
Ich nahm am Sonntag auf der blacklivesmatter Demonstration in Berlin-Kreuzberg teil. Ich bin mit einem meiner engsten Freunde hier in Berlin, auf die Demo gegangen. Mein Freund ist weiß, mit Migrationsbiographie und er ist Vater eines Schwarzen Kindes. Dies war eine starke Erfahrung. Es sind circa 2000 Menschen, mit Mundschutz und dem Versuch immer 1,5 Meter Abstand zu halten durch Kreuzberg gezogen. Besonders die Schlusskundgebung hat mich sehr bewegt. Es sprachen mehrere Schwarze Menschen, mit afroamerikanischen, afrikanischen und afrodeutschem Hintergrund über ihre Gefühle, Wut, Verzweiflung, Selbstfürsorge, Kraftquellen und was sie von weißen Menschen hier in Deutschland erwarten.
Die Demo, aber auch die ganze Situation allgemein und was ich auf sozialen Medien und in den Nachrichten aufsog, beschäftigen mich derzeit sehr. Beim Zuhören der Redner_innen bei der Abschlusskundgebung am Hermannplatz habe ich gemerkt, wie es mir richtig eng in der Brust war. Wie du – falls du mir schon etwas folgst – vielleicht weißt, bin ich ja ein hochsensibler Mensch und nehme Stimmungen und Gefühle anderer Menschen oftmals sehr intensiv wahr. Ich habe dann versucht, sehr bewusst zu atmen und zu beobachten, was in meinem Körper zu spüren ist.
Ich fühlte ganz viele Dinge, von Wut, Schuld, Scham, Trauer, Abwehr, bis hin zu Energie und Tatendrang etwas zu tun. Beim Wahrnehmen der Intensität der Empfindungen und Gefühle dachte ich mir: „Je mehr ich lerne, desto mehr erkenne ich, wie wenig ich eigentlich weiß und verstehe“.
Je älter ich werde, mehr Erfahrungen ich mache und desto mehr Schwarze Menschen / people of colour und Menschen, die Rassismuserfahrungen machen, ich treffe, desto mehr lerne ich zu sehen, wie krass das System weißer Vorherrschaft wirkt. Wie es Menschen unter Druck setzt, stresst, Gewalt antut, diskriminiert und wie zuletzt tötet. Je mehr ich lerne und zuhöre, desto mehr erkenne ich, wie wenig ich doch weiß. Wie wenig ich die Intensität und Formen von Rassismus ich am Schirm hatte. Dass ich als weißer Mensch im Endeffekt keine Vorstellung davon habe, wie es ist, in dieser Welt, in dieser Gesellschaft, Schwarz zu sein.
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Eine zentrale Botschaft der Black lives matter Bewegung und des kritischen Diskurses nach den Anschlägen in Hanau ist es zu erkennen, dass rassistisch motivierte Morde keine Einzeltaten von ein paar super rechten Nazis oder white supremecists sind. Sondern dass dies nur eine extreme Manifestation eines Systems weißer Vorherrschaft ist, das alle Bereiche der Gesellschaft auf ganz verschiedenen Ebenen durchzieht. Besonders schlimm ist struktureller Rassismus in Institutionen, wie der Polizei und Justiz, da nicht-weiße Menschen dann von diesen Institutionen keine oder weniger Chance auf Gerechtigkeit haben. Auch in Deutschland und Österreich. In allen Institutionen, von Schulen bis Gerichten, Fachhochschulen und Universitäten, Polizeibehörden, Politik und Wirtschaft. Aber auch in allen Familien, Beziehungen und im sozialen Mitenander ist dieses System präsent. Es durchzieht wie ein Unsichtbarer Schleier alle Bereiche unseres Lebens.
Deswegen ist es nicht die Aufgabe von Schwarzen Menschen und People of Colour dieses System zu kritisieren und zu verändern. Sondern weiße Menschen, die davon profitieren, müssen aktiv werden. Die Forderung ist klar. Es ist nicht genug sich nur „nicht“ rassistisch zu verhalten, sondern es braucht weiße Menschen, die sich aktiv anti-rassistisch verhalten. Genau wie bei der HIV Epidemie in den 80ern und 90ern und bei anderen Systemen von Gewalt und Diskriminierung gilt: Schweigen tötet.
Ein paar Links, Ressourcen und Informationen, für weiße Menschen Solidarität zu leben, werde ich unten verlinken. Ich möchte in der nächsten Zeit in mehreren Artikeln ein paar Ressourcen und Ideen vorstellen, die mir helfen, etwas beizutragen.
Embodiment und verkörperte Spiritualität als Tool nutzen weiße Vorherrschaft zu transformieren
„Peace means ending white supremacy“
„Frieden heißt, weiße Vorherrschaft zu beenden“
Buddhist peace followship
Ich weiß nicht wie es dir geht, wenn du diesen Text liest, oder die Wörter „Weiß-Sein“, Rassismus und „weiße Vorherrschaft“ liest. Beim Schreiben gerade fühlt sich mein Körper jedenfalls gerade schwer und meine Lunge zugeschnürt an. Immer wieder während des Schreibens denke ich mir, was von den hundert Gedanken und Informationen ich jetzt hier hineinnehmen soll, und was nicht.
In einem Moment fühle ich mich stark und mutig das zu machen, in einem anderen habe ich Angst, wer mich kritisieren könnte, wenn der Artikel gepostet wird oder, dass mein Versuch hier etwas zu schreiben einfach nur lächerlich, oberflächlich und chaotisch ist.
Spannend oder, dass solche Gedanken kommen. Wenn es um Rassismus geht, ist einer der ersten Gedanken mein Ego, das Angst hat, kritisiert zu werden. Solche Art Scham bringt mich im schlimmsten Fall nur zum Schweigen und behindert mich darin, aktiv zu werden und etwas zu tun.
Ich frage mich auch gerade, woher diese Scham kommt? Wenn ich aus Scham nichts sage oder schreibe, bin ich ja schlussendlich ein Komplize des Systems. Ist diese Scham ein Teil von mir? Ist es etwas, dass ich gelernt habe? Von wem? Wie hat sich struktureller Rassismus und weiße Vorherrschaft in mein Gehirn, in mein Denken, meine Wahrnehmung, aber auch in mein Nervensystem und Körper eingeschrieben? Solche Fragen poppen in meinem Kopf auf.
Als Mensch, der Meditation praktiziert, erinnere ich mich daran, dass Gedanken ja nur ein Teil von meinem Bewusstsein sind. Viele Lehrer_innen zu Achtsamkeit arbeiten mit Pausen. Sie schlagen vor, beim Lesen oder Denkarbeit immer wieder in den gegenwärtigen Moment zu kommen. Ein perfekter Moment auch jetzt.
Was spüre ich, wenn ich über dieses Thema nachdenke und in meinen Körper hinein fühle. Welche Empfindungen sind da? Welche Gefühle? Wie fühlt sich mein Atem an? Wie der Kontakt mit dem Boden? Wenn du magst, nimm dir auch jetzt einen Moment Zeit um in dich zu spüren.Was ist gerade da? Was ist in dir präsent? Kannst du zwischen den Ebenen Empfindungen, Gefühlen und Gedanken differenzieren?
Von Moment zu Moment das wahrzunehmen, was ist, das ist für mich Achtsamkeit. Immer mehr und tiefer in unseren Körper zu spüren und unseren Körper als Quelle für Resilienz, Stärke, Kraft und Verbindung mit dem Leben wahrzunehmen, verstehe ich als „Embodiment“ oder Verkörperung. Ich glaube ich realisiere in den letzten Tagen mehr und mehr wie viel Achtsamkeit, Embodiment-arbeit und Selbstfürsorge ich praktizieren muss, um mich immer wieder mit diesem strukturellen System und meiner Verortung darin, auseinanderzusetzen.
Eines der größten Privilegien weißer Menschen ist es, sich mit Rassismus beschäftigen zu können, aber es nicht zu müssen. Ich kann jederzeit nicht daran denken, auf die Straße gehen, an einer Polizeistation vorbei, mich für eine Wohnung und Job bewerben, ohne Angst haben zu müssen, dass meine Hautfarbe oder familiäre Wurzeln eine negative Auswirkung hat.
Es macht mich einfach traurig und wütend. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass auch meine Schwarzen und BIPoC Freund_innen und Mitmenschen irgendwann ohne diese Diskriminierung in Deutschland, Österreich, den USA und überall sonst leben können.
Ich bin schon vor circa zwei Jahren auf ein amerikanisches Kollektiv gestoßen, dass sozial engagierten Buddhismus, mit Aktivismus und sozialer Gerechtigkeit verbindet. Das ist das Buddhist Peace Fellowship, von dem ich auch dieses Zitat oben übernommen haben. Die Aktivist_innen dieses Kollektivs verbinden buddhistische Zugänge mit Kämpfen und Arbeit zu sozialer Gerechtigkeit.
Auch im Bereich Achtsamkeit, Meditation sind sehr viele bekannten Lehrer_innen weiß und oft bleiben unangenehme Themen, wie Rassismus verschwiegen. Ich möchte mich in der nächsten Zeit mehr auseinander setzen, wie ich Embodiment-praxis, Meditation, Achtsamkeit, Mitgefühl mit mir selbst und meine Spiritualität nutzen kann, zur Befreiung, Transformation und Heilung von diesem rassistischen System beizutragen.
Es gibt viele Möglichkeiten etwas zu tun jetzt. Ich kann mich informieren und gezielt Schwarze Perspektiven auf Rassismus, Kolonialismus und weiße Vorherrschaft auswählen. Ich kann Content, Kunst, Artikel und Ideen Schwarzer Aktivist_innen teilen. Ich kann Geld an Schwarze und PoC (people of color) Organisationen und die blacklivesmatter Bewegung spenden. Ich kann mit anderen weißen Menschen in Kontakt treten und besprechen, wie wir diese Arbeit des „Verlernens“ von Rassismus angehen können.
Der Text ist ein erster Start und drückt nur einen Bruchteil der Dinge aus, die mir durch den Kopf gehen. Im nächsten Artikeln möchte ich jedenfalls das Buch „Exit Racism“ der Schwarzen deutschen Anti-rassismusexpertin Tupoka Ogette vorstellen, die ein ganz tolles Buch erschaffen hat, um rassismuskritisch denken zu lernen.
Und ich möchte von Euch hören und mit Euch ins Gespräch kommen!
- Was beschäftigt Euch in Zusammenhang mit weißer Vorherrschaft und strukturellem Rassismus?
- Wie geht ihr mit Euren Gedanken, Gefühlen und Empfindungen um?
- Wenn du weiß bist: wo stehst du auf diesem Weg. Kennst du Ressourcen für weiße Menschen, die du hilfreich findest?
- Kennst du deutschsprachige Praktiker_innen, die ihre Spiritualität rassismuskritisch leben?
Weiße Vorherrschaft und struktureller Rassismus kann nur durch die Mitwirkung und Arbeit weißer Menschen beendet werden. Jeder Anstoß hilft, und wir brauchen jede einzelne Person! Ich freue mich von Euch zu hören.
No justice, no peace
Black lives matter
trans and queer black lives matter
Ressourcen
www.blacklivesmatterberlin.de/
Deutschlandfunkt Radio Sheila Mysorekar – Warum die Opfer Namen brauchen
www.exitracism.de
Webseite zum Buch von Tupoka Ogette
Video Interview mit Tupoka Ogette
Berliner Farben – Poliana Baumgarten
Initiative Schwarze Menschen Deutschland
eoto-archiv.de
Each one, teach one – Community-basiertes Bildungs- und Empowerment-Projekt in Berlinacialprofiling
Beitrag zu racial profiling und struktureller Rassismus in der deutschen Polizei
Buddhist peace followship
socially engaged buddhism and social justice (USA)
Artikel über Organisationen und Spendenmöglichkeiten in den USA
deutschsprachige Poc geführte Instagram Kanäle