Dies ist der zweite Teil zum Artikel vom 11.5!
Es tut sich momentan so viel in meinem Leben, so dass ich nur mit Mühe selbst hinterherkomme, alles zu verarbeiten. Diesen Artikel wollte ich eigentlich am Sonntag schreiben, aber irgendwie hatte ich eine Blockade. Ich war mir noch immer nicht so sicher, wie ich meine neue Webseite und meine Arbeit denn nennen soll und generell mit allem etwas überfordert. Jedenfalls möchte ich in diesem Artikel eine Reflexionen über meinen Prozess teilen, wie ich vier Jahre nach der Entlassung in die onkologische Nachsorge über Arbeit und meinen zukünftigen beruflichen Weg so denke und natürlich, wie der neue Name „healingwithlukas“ entstanden ist!
Über die Versuche der Lohnarbeit nach der Krebserkrankung
Wie ich schon an anderer Stelle erwähnt habe, bin ich im Zuge meiner Heilungsgeschichte 2018 von Wien nach Berlin umgezogen. Ich habe gemerkt, dass es für mich sehr heilsam und wichtig war nach meiner Krebsbehandlung mich tiefer mit meiner sexuellen Seite, meiner schwulen Identität und der Integration meiner spirituellen Erfahrungen in mein queeres Leben, zu widmen. Gleichzeitig mit dem Umzug nach Berlin, habe ich nach drei Jahren Pause vom Berufsleben, wieder zu arbeiten begonnen. Ich war als Sozialarbeiter in einer tollen Einrichtung mit einem super Team aktiv, und habe mit suchtkranken und Menschen mit chronischen Infektionskrankheiten gearbeitet.
Diese Arbeit war jedenfalls der beste soziale Träger, bei dem ich bislang arbeiten durfte. Trotzdem habe ich gemerkt, wie angestrengt ich von der Arbeit war, obwohl ich „nur“ 29 Stunden angestellt war. In der Sozialen Arbeit ist mensch ja oft sehr mit Bürokratie beschäftigt und die Menschen, mit denen du zu tun hast, sind in verschiedenen Stufen von Freiwilligkeit in Maßnahmen. Jedenfalls habe ich gemerkt, dass meine psychische Kraft und Widerstandsfähigkeit deutlich abnahm. Ich wurde immer müder und habe gemerkt, dass ich deswegen wieder starke Ängste hatte, krank zu werden, also ein Krebs Rezidiv zu bekommen.
So habe ich also letzten Herbst meinen Job gekündigt und bin frohen Mutes in die Arbeitslosigkeit gegangen. Ich habe eine dreimonatige Reise in Südost Asien gemacht, war in einem Ashram in Indien, nahm bei einer buddhistischen Pilgerreise teil, besuchte das erste Mal einen Yoga Retreat, bevor ich mit meiner engen Freundin Doris wieder zu unserem Kraftort auf Sumatra gereist bin. Über die verschiedenen Erfahrungen auf der Reise, werde ich in gesonderten Beiträgen noch genauer berichten. Jedenfalls habe ich in den letzten 6 Monaten sehr viel meditiert, Yoga gemacht, neue Anteile entdeckt, sehr viele Ängste und depressive Episoden überwunden und viele inspirierende Menschen kennengelernt.
Durch die Vernetzung mit vielen anderen Krebs-überlebenden habe ich erkannt, dass ich nicht der einzige Mensch bin, der nach der Krebstherapie Schwierigkeiten hat ins Berufsleben zurückzufinden und merkt,dass es eine Veränderung braucht.
Ich merke momentan, dass es einen ganz großen Anteil in mir gibt, der sich schämt, und sehr damit hadert, dass ich mir in der Arbeitswelt so schwer tue. Das war jedoch auch schon vor der Krebserkrankung so, und ist durch alles, was ich durchlebt habe, nicht besser geworden. Ich setze mich selber immer so unter Druck, wie ich ja auch schon an anderer Stelle beschreibe beim Hochstapler Syndrom.
Ich habe einfach für mich festgestellt, dass ich vielleicht nicht so zum Sozialarbeiter tauge, wie ich mir das immer vorgestellt habe. Nicht das ich meine Arbeit schlecht gemacht hätte, aber ich selber – mit meiner Persönlichkeit – komme damit einfach nicht so gut klar. Ich habe für mich erkannt, dass (momentan zumindest) Sozialarbeit keine Option für mich ist, um mein Geld zu verdienen.
Jedenfalls merkte ich auf der Reise und auch schon davor, dass ich schreiben möchte. Schon als ich 2016 meine Survivor Party gefeiert habe, sagten Menschen zu mir, dass ich meine Erfahrungen unbedingt aufschreiben soll, was ich ja mit diesem Blog auch mache. Aber ich erinnere mich auch an einen alten Schulfreund Niko, der mich fragte, ob ich mir auch überlege, ein Buch zu schreiben. Ein Buch zu schreiben? Das wirkte so vermessen und großtuerisch auf mich. Sehr typisch für mich, als introvertierten, hochsensiblen am Hochstapler Syndrom herumdokternden Menschen.
Gleichzeitig bin ich aber eben auch ziemlich selbstbewusst. Schließlich teile ich meine Gedanken seit 2,5 Jahren mit tausenden von Menschen innerhalb und außerhalb meines Freundes- und Bekanntenkreises. Ich weiß, dass ich viele Talente habe und durch meine Privilegien, meinen Weg und mein offenes Wesen mir sehr viel Wissen und Erfahrung angeeignet habe. Und so hat sich in den letzten Monaten Stück für Stück das Bild meines neuen Weges zusammengefügt.
Vom Sozialarbeiter zum Schriftsteller und Kuschelescort
in den letzten sechs Wochen arbeite ich mit Dragan von exploreself.com, einem ganz tollen Jobcoach zusammen (Link unten). Das Coaching wird von der Arbeitsagentur in Berlin gezahlt, was ich auch super toll finde und wofür ich mega dankbar bin:
Durch das Coaching sind die letzten Zweifel verflogen. Ich will nicht mehr Sozialarbeiter sein. Ich möchte Schreiben und Heilungsarbeit durch das Veröffentlichen meiner Geschichte leisten.
Ich habe nochmal ganz genau erarbeitet, was meine Stärken sind. Und eine meiner größten Stärke ist es, dass ich die Fähigkeit habe, sehr leicht mit Menschen und ihrer Geschichte und Komplexität in Kontakt zu kommen. Ich kann auch reflektiert, vulnerabel aber mit gesunden Grenzen schreiben und kann dies auch beruflich nutzen.
Zusätzlich arbeite ich sehr gerne mit dem Körper, Embodiment und beschäftige mich viel mit Heilung im ganzheitlichen Sinn, jenseits von Sprache und verbaler Kommunikation. Durch meine ganze Heilungsarbeit im Bereich Sexualität und Queerness habe ich mehr und mehr schwule und queere Menschen kennengelernt, die als Massage-therapeut, sexological bodyworker und/oder Sexarbeiter tätig sind und dadurch auch Heilungsarbeit leisten.
Durch den Kontakt mit vielen dieser Menschen habe ich gelernt, dass viele (Männer*), die sexuelle Dienstleistungen und Escorts in Anspruch nehmen, dies nicht nur aus sexuellem Interesse und dem Wunsch nach sexueller Befriedigung tun. Oftmals geht es um Nähe, Wertschätzung, Geborgenheit, Wärme und Kontakt und nur sekundär um Sex. Ich dachte mir: Wenn Menschen um diese menschlichen Grundbedürfnisse zu stillen zu Sexarbeiter_innen, in Bordelle und Massage -salons gehen, vielleicht kann man dann auch einfach gleich „einfach“ das anbieten, nämlich Kuscheln.
Ich bin auf meiner Recherche darauf gestoßen, dass es so etwas wie professionelle Kuschler_innen gibt, und es dazu auch mehr und mehr Erkenntnisse gibt, wie Berührungsmangel krank und ebenso konsensuelle, nicht-sexuelle und wertschätzende Berührung gesundheitsfördernd sein kann. Und somit war es dann auf einmal klar: ich werde Kuschel-escort!
Dies war in meinem Kopf perfekt. Ich mache mich selbstständig als Kuschler / bodyworker, arbeite vielleicht noch irgendwo ein paar Stunden in einem Bioladen oder Kaffee und kann mich so dem Schreiben und Produzieren widmen, sei es ein Buch oder einfach ein aktiver Blog oder ein Podcast oder was auch immer.
Nun kam Corona dazu und hat diese Pläne mal etwas durcheinander gewirbelt, zumindest mit dem Kuscheln. Trotzdem ist mein Ziel und Weg klar, nur der Zeitpunkt, wird sich fügen. Ich bin momentan am Herausarbeiten und Suchen nach Stipendien und Fördermöglichkeiten für Menschen, wie mich: Menschen, die Krebs überlebt haben und darüber Schreiben.
Ich habe durch das Portal Influcancer den tollen Krebs-mit-Überlebenden Alexander Greiner, kennengelernt. Und siehe da, der hat genau das gemacht. Er hat sich eine kreative Pause genommen, hat sogar eine Förderung vom österreichischen Bundeskanzleramt bekommen und sein Buch „Als ich dem Tod in die Eier trat“ im Herbst 2019 herausgebracht. Seither hat er in unzähligen Runden sein Buch vorgestellt und engagiert sich in männer*gesundheitspolitischen Zusammenhängen. Gerade lese ich sein Buch, das ich so spannend geschrieben finde. Und so denke ich mir: Siehe da. Es gibt Menschen, die das machen. Das ist eine Möglichkeit,warum sollte das für mich keine Möglichkeit sein?
Ich arbeite auf Hochtouren auf verschiedenen Ebenen,wie ihr seht! Wenn du irgendeinen Tipp für mich hast, zu Förderungen oder anderwertig, dann schreib mir gerne!
Alles Schritt für Schritt
„Der Weg ist das Ziel“ ist eine bekannte Weisheit. Der nächste Schritt für mich ist, wie ich im Artikel letzter Woche angekündigt habe, die Neugestaltung meines Blogs, an der ich im Hintergrund fleißig bastele. Nach viel Überlegen und Abwägen bin ich auf den neuen Namen meines Blogs gekommen, nämlich Healingwithlukas.
Ich habe gemerkt, dass mein alter Name mindfulsurvivor zu sehr auf meine Krebsgeschichte eingeengt ist. So hat der Blog gestartet und lange Zeit hat der Name so gut für mich gepasst. Ich habe entdeckt, wie Achtsamkeit, Meditation und Spiritualität mir gefühlt das Leben gerettet haben.
Nun bin ich aber nicht mehr im Überleben. Ich bin wieder zurück im Leben angekommen, wissend, dass sich dies jederzeit ändern kann und ich natürlich nicht weiß, wie lange ich leben werde. Aber ich bin nicht nur mehr ein Überlebender, ich bin auch ein schwuler Mann, der seine Sexualität exploriert und ich bin gesellschaftskritisch und engagiere mich für Vielfalt und Antidiskriminierung. Ich lerne mehr und mehr, wie es auch Heilung bedeutet sich von Körpernormen zu trennen, mich mit meinen weißen Privilegien zu beschäftigen oder meine Sexualität frei und mit weniger Scham so auszuleben, wie es zu mir im gegenwärtigen Moment passt.
Ich habe mich auch erinnert, was eigentlich mein zentrales Anliegen meiner Arbeit mit meinem Blog ist:
- Ich möchte Ressourcen für Heilung, Selbstfürsorge und Empowerment mit meiner Geschichte und Reflexionen für möglichst viele Menschen zugänglich machen.
- Ich verstehe mich als Teil vieler kleiner und großen Bewegungen, die mit Achtsamkeit, Spiritualität, Selbstfürsorge und Selbst-bestärkung an persönlicher und kollektiver Befreiung und der Überwindung aller Formen von Unterdrückung, Gewalt und Kapitalismus arbeiten.
Gerade mit der derzeitigen Pandemie sehe ich, wie viele andere Menschen, die Möglichkeit einer Wende für unser globales System. Wir als Menschheit insgesamt, aber besonders weiße Menschen und westliche, reiche Gesellschaften sind gezwungen uns mit dem, wie und was wir auf diesem Planeten anrichten, auseinanderzusetzen. Es vergeht kein Tag an dem ich darüber grüble, ob es die Menschheit schaffen wird, sich nicht selbst auszulöschen oder nicht. Ich möchte aber, solange ich lebe, versuchen mit anderen Menschen an Lösungen und Heilung zu arbeiten.
Insofern ist mir der Gedanke gekommen, dass meine neue Webseite einfach so heißen könnte, nämlich mit mir und meiner Arbeit gemeinsam zu heilen / gesund zu werden / sich zu befreien. Und so entstand Healingwithlukas
Wie findest du den neuen Namen? Was denkst du zu dem,was ich hier geschrieben habe? Hast du eine Idee, für Förderungsmöglichkeiten? Ich bin neben freudig auch sehr nervös und freue mich, wie immer auf Ideen, Feedback und die Zusammenarbeit mit Euch!
Sobald die neue Webseite online geht, werdet ihr das natürlich direkt erfahren! Und falls sich wer von Euch denkt, was das eigentlich für Hammer-geile Photos sind: Über meinen ersten professionellen Photoshoot und wie stärkend das war, berichte ich auch demnächst!
Achja: Wenn du morgen oder später diese Woche die Ausgabe der Wochenzeitung „die Zeit“ vom 20.5.2020 kaufst, dann findest du darin ein Extra Gesundheitsheft zum Thema „Junge Menschen mit Krebs“. Vielleicht findest du darin auch ein bekanntes Gesicht???
Ich wünsche Dir eine schöne restliche Woche. Bis demnächst
Ressourcen / Links
Greiner, Alexander (2019): Als ich dem Tod in die Eier trat. Kremayer und Scheriau,Wien