Vor ein paar Monaten habe ich den ersten Teil dieses Artikels geteilt, indem ich ein paar Gedanken formuliert habe, wie meiner Erfahrung nach Verletzlichkeit und Authenthisch-Sein dazu beiträgt gefestigte soziale Beziehungen aufzubauen. Nun möchte ich mehr über meine Erfahrungen schreiben, wie ich erlebt habe dass soziale Beziehungen und Gruppen, sowie Gemeinschaften heilsam für mich waren und sind.
Einsamkeit vergiftet den Körper
Auf meinem Weg bin ich über ein Buch gestolpert, über das ich schon an anderer Stelle berichtet habe,und zwar „mind over medicine“ von Lissa Rankin. Dort habe ich zum ersten Mal gelesen, dass es nicht wenige Mediziner_innen und Sozialwissenschaftler_innen gibt die Forschung darüber betreiben, wie ein gutes soziales Netz, positive Beziehungen und Menschen, die in solidarischen Gemeinschaften leben, weniger an Krebserkrankungen oder Herz-Kreislauferkrankungen leiden oder gar eine längere Lebenserwartung haben (Rankin 2014: 141f.). Lissa Rankin widmet ein ganzes Kapitel diesem Thema und führt viele Studien und Artikel an, die sich damit beschäftigen.
Die Autorin stellt mehrere Untersuchung vor, von denen mir eine sehr im Gedächtnis geblieben ist. Sie berichtet von einem amerikanischen Forscherteam bzw. einer Studie aus den 1960er Jahren, über ein Dorf in einem US-Bundesstaat. Dieses wurde von italienischstämmigen Einwander_innen gegründet und wies eine viel niedrigere Sterberate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf, als die anderen Nachbardörfer. Dies hat die Neugierde des Forscherteams angezogen. Sie untersuchten, ob vielleicht die Ernährungsgewohnheiten oder Lebensbedingungen, das Wasser, die medizinische Versorgung usw. dort besser waren als in den Nachbarsorten. Dem war jedoch nicht so. Die Menschen hatten harte Jobs in Textilfabriken, aßen viel Fleisch und konsumierten Alkohol in geselliger Runde. Es war also kein gesünderer Lebensstil dieses Dorfes feststellbar. Jedoch stellten sie fest, dass die Menschen in sehr engen sozialen Beziehungen lebten. Es gab eine intakte Dorfgemeinschaft. Die Menschen lebten in Großfamilien in Mehrgenerationen-haushalten. Es wurde oft auf der Straße gemeinsam gegessen und es herrschte ein stetiges „Ein und Aus“ zwischen den Familien.
Mit der Zeit und dem technischen Fortschritt wie der Verfügbarkeit von Autos, Fernsehgeräten usw. glich sich die Lebensweise der Dorfbewohner_innen mehr und mehr dem amerikanischen Durchschnitt an. Bezogen auf die Lebensweise hat das folgendes bedeutet: Von den Großfamiliären und gemeinschaftlichen Sozialstrukturen wurde die Kleinfamilie mehr und mehr zentral. Jede Familie lebte im eigenen Haus, mit Gartenzaun, eigenem Auto, eigenem Fernseher. Es wurde weniger gemeinsam gegessen und abends weniger Zeit auf der Straße verbracht. Es war weniger Kommunikation notwendig, da jeder Haushalt selbst organisiert war usw. Also genau das was seit den 60er und 70er Jahren in der westlichen Welt die Norm der Lebensorganisation ist. So zeigte sich, dass sich auch alle möglichen Erkrankungen an den Durchschnitt des Bundesstaates anglichen. Das Forschungsteam stellte so die Hypothese auf, das das Leben in Gemeinschaft dafür verantwortlich war, dass die Menschen dort „gesünder“ als anderswo waren.
~
Das zu lesen war für mich wirklich faszinierend. Als Sozialarbeiter und sozialer Mensch war mir das natürlich einleuchtend. Es ist ja auch eine Binsenweisheit, dass Einsamkeit und die Mentalität „Jeder für sich“ ungesund ist und aus einem kapitalistischen und neoliberalen Menschenbild heraus rührt.
Auch in dem Buch zur ganzheitlicher Onkologie Keith Block, las ich von Studien in denen ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Überlebensrate von z.B. Brustkrebspatient_innen und deren Einbettung in ein positiv erlebtes soziales Netz. Das fand ich als Krebspatient natürlich super mega spannend.
In meiner Behandliung hingegen ist diese Erkenntnis nicht wirklich in Haltung und Botschaften des Behandlungsteam rübergekommen.
Hat mich jemals ein Arzt oder eine Ärztin gefragt, wer mich unterstützt und wie oft ich gemeinsam mit engen Freund_innen Dinge unternehme? Gab es von schulmedizinischer Seite die Information, dass, sich unterstützen zu lassen und seinen Freundeskreis in die Alltagsbewältigung einzubauen, nicht nur eine alltagspraktische Notwendigkeit ist, sondern sich auch förderlich auf den Behandlungserfolg auswirkt? Nicht wirklich. Alle diese Informationen musste ich mir selbst erarbeiten und anlesen. Während der Behandlung habe ich dann diese „alternative“ Sichtweise neben die schulmedizinische Behandlung mitgemacht und mitgedacht. Meiner Wahrnehmung nach wird aus schulmedizinischer Sicht, das alles noch immer im Feld der Komplementärmedizin bzw. im Bereich der Esoterik angesiedelt. Mein Wunsch wäre (und das passiert ja auch schon immer mehr), dass dieses Wissen auch in die onkologische Behandlungspraxis einfließt.
~
Lissa Rankin schreibt in ihrem Buch: „dass sich zwischenmenschliche Nähe stärker auf die körperliche Verfassung auswirkt als Ernährung, Bewegung und gesundheitsförderliche bzw.-schädliche Verhaltensweisen“ (ebenda).
Das war für mich ebenfalls eine ganz neue Sichtweise. Auch ich war ganz lange davon überzeugt, dass Ernährung und Bewegung, Nicht-rauchen, wenig Alkohol usw. gesundheitsförderlich ist. Ist es ja auch. Aber eben nicht nur. Ich z.B. war Jahre lang fast obsessiv mit gesunder Ernährung beschäftigt, habe viel Sport gemacht und wenig Alkohol getrunken, keine Drogen genommen. Und trotzdem bin ich mit 26 fast an Krebs gestorben. Wahrscheinlich kennst du auch Menschen, die viel rauchen, oder nicht wirklich gesund leben, und trotzdem voller Lebensfreude sind und vor Energie strotzen. Die Fähigkeit das Leben zu genießen und freudig in Gemeinschaft zu sein, nimmt meiner Meinung nach stärkeren Einfluss auf die Gesundheit, als bisher angenommen. Natürlich ist das eigene soziale Netz nicht das einzige, aber eben ein wichtiger Faktor für Gesundheit und Heilung und deswegen führe ich ihn auch explizit hier an.
Natürlich sind nur solche Beziehungen gesundheitsförderlich, in denen wir akzeptiert und wertgeschätzt sind, so wie wir sind. Ich gehe zum Beisoiel bei dem Beispiel von dem italo-amerikanischen Dorf davon aus, dass für queere Menschen diese Dorfgemeinschaft nicht gesundheitsförderlich war.
Für nicht wenige Menschen ist es notwendig sich von einer Beziehung, einer Freundschaft oder einer Gemeinschaft zu trennen, damit sie auf ihrem Weg Richtung Gesundheit weiterkommen. Es ist kein Wunder, dass Angehörige von Minderheiten und gesellschaftlich benachteiligter/ausgegrenzter Gruppen stärker von psychischen Erkrankungen betroffen sind, als Angehörige von Mehrheitsgesellschaft oder Gruppen, die mehr Macht in der Gesellschaft haben. Angst vor und die Erfahrung von Ablehnung und Ausgrenzung, so genannter Minderheitenstress und Gewalterfahrungen begleiten viele queere und Schwarze / BIPoC Menschen ihr leben Lang.
So spielt auch die Stimmung und das Bewusstsein in einem Krankenhaus oder einer Station eine Rolle. Ich habe z.B. die Erfahrung gemacht, dass es mich total unterstützt hat, wenn während meiner Krankenhausaufenthalte die Ärzt_innen und das Pflegeteam und die Hauswirtschaftskräfte wertschätzend miteinander und auch mit den Patient_innen waren. Genauso habe ich erlebt wie anstrengend und belastend es sein kann, wenn ich mitbekomme, wie Angestellte im Spitalbetrieb grob, herablassend, derb oder gar diskriminierend und rassistisch mit Menschen umgehen. Das erzeugt ein vergiftetes Klima für alle und ist sicherlich nicht förderlich für den Behandlungserfolg.
Es gibt für gesunde Menschen ganz viele Möglichkeiten das eigene soziale Netz auszubauen. Ich kann alte Kontakte wieder anzapfen oder Freund_innen kontaktieren. Ich kann mich in Freizeitgruppen, oder Vereinen engagieren an sozialen und kulturellen Veranstaltungen teilnehmen usw.
Wenn man jedoch krank ist, geschweige denn Krebs hat, oder weniger mobil ist, ist das meist nicht so einfach. Trotzdem gibt es auch hier Möglichkeiten. Ich kann in eine Beratungsstelle gehen, ich kann eine Selbsthilfegruppe suchen, einen Blog starten und mich mit anderen Betroffenen vernetzen. Ich kann an Achtsamkeitskursen teilnehmen.
Meine Botschaft in diesem Artikel soll folgende sein
Es gibt Menschen, Orte und Gemeinschaften, die dich auf deinem Weg zu unterstützen oder unterstützen können! Und du kannst mit deiner Geschichte und Prozess auch diese Menschen, Orte und Gemeinschaften bereichern
Manchmal dauert es eine Weile dorthin zufinden. Das wichtigste ist wiedermal (ich wiederhole mich, ich weis), dass du innerlich weißt, dass du geliebt und vollkommen bist, so wie du bist und es wert bist gesund und glücklich zu sein. Und wie schön ist es diese Freude auch mit anderen Menschen zu teilen?
Für alle gerade gesunden Menschen ist es sinnvoll, sich immer wieder die Frage zu stellen, für was ich gerade wie viel Energie und Zeit investiere, und ob Beruf, Ausbildung und „Leistung“ auch Platz für Freundschaften, Beziehungen, Familie und die eigene Entfaltung bleibt. Denn eins weis ich: Kein beruflicher oder sonstiger „Erfolg“ hilft dir, wenn dein Leben am seidenen Faden hängt!
In zwei weiteren Artikeln zu Gemeinschaft mag ich noch etwas darüber schreiben, wie mensch sich ein Hilfesystem mit dem Freundes- und Familienkreis aufbauen kann. Und ich möchte noch genauer erzählen wie mir achtsame Gemeinschaften halfen und helfen, z.B. bei einem Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster und wie ich wegen einem schwulen „Comunity Center“ sogar nach Berlin umgezogen bin.
Ressourcen
Rankin, Lissa Dr. med (2014): Mind over medicine. Warum Gedanken oft stärker sind als Medizin. Kösel-Verlag, München, 3. Auflage
[…] Dies ist der Dritte Teil dieser Artikeserie. Kennst du schon Teil 1 und Teil 2? […]