Urlaube & Nachwehen der Behandlung
Nach der ersten Erholungsphase war es nun an der Zeit Urlaub zu machen, dachte ich mir. Mit der Entspannung hat es nicht immer so ganz hingehauen. Ich habe mit meinen Freund_innen viel gescherzt, dass ich mich erst wieder langsam an ein stressfreies Leben gewöhnen muss. Bzw. musste ich sehen und lernen, dass ein Jahr Chemotherapie Spuren hinterlässt und es jetzt an der Zeit ist, mit den Nachwehen der Behandlung umzugehen.
Meine erste Reise ging mit einem meiner besten Freunde nach Istanbul und an die Ägäis. Nach ein paar heißen Tagen am Strand habe ich dann quasi „live“ den versuchten Militärputsch des Juli 2016 in Istanbul miterlebt, was nach der Krebsbehandlung eine Grenzerfahrung der anderen Art war. Nach einer lauten und verunsichernden Nacht und ein paar Tagen von gespanntem Abwarten, konnte ich aber wieder nach Wien fliegen. Nun konnte ich nicht nur sagen Krebs überlebt, sondern auch noch einen Putschversuch miterlebt zu haben.
Mein erstes Achtsamkeits-retreat im „plum village“
Nun wollte ich es aber „besser“ machen. Mein zweites Urlaubsziel war das buddhistische Kloster „Plum village“ in der Tradition des Zen-meisters und Friedensaktivist Thich Nhat Hanh in Südfrankreich. Nach der Behandlung war ich auf der Suche nach einem buddhistischen Zugang und Kloster, der mir sympathisch war. Irgendwie bin ich auf Thich Nhat Hanh gekommen und wurde sehr neugierig. Ich habe gesehen, dass im Sommer ein Retreat speziell für junge Menschen (auf Englisch wurde es mit 16 bis „under 35ish“ angegeben – also ohne fixe Obergrenze). So habe ich mich im Juni dann experimentierfreudig für eine einwöchige Achtsamkeitswoche angemeldet.
Das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Die Woche im Kloster war unglaublich schön und nach Istanbul wirklich sehr heilsam. Ich habe in dieser Woche unglaublich viele liebe, interessante Menschen kennengelernt, mit sehr berührenden Gesprächen und Begegnungen. Es war fast ein „Zu viel“, da es kaum eine Begegnung oder ein Gespräch gab, wo ich nicht irgendetwas total Wichtiges oder Interessantes gelernt oder mitgenommen habe.
Ich habe zum ersten Mal verstanden, wozu Klöster sinnvoll sein können oder Menschen für sich die Entscheidung treffen, dort zu leben. Ich habe nach dem Kloster irgendwie folgenden Vergleich für mich gefunden. Für mich ist das plum village wie eine riesige geistige Tankstelle. Die Menschen kommen mit ihrem leeren Tank an und füllen ihn in der Zeit wieder voll auf. Sie füllen den Tank, wie bei einem Urlaub mit Ruhe, Entspannung, Selbstfürsorge, Mitgefühl für sich selbst, genug Schlaf, gutem veganen Essen, in einer auto- und medienfreien Umgebung auf. Sie füllen den Tank auf in dem sie eine Woche aus der gesellschaftlichen Normalität und fast Realität aussteigen. Manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, ich bin in einer Art Paralleluniversum.
Es ist eigentlich genau dasselbe wie Urlaub, nur dass wir auch sehr viel über uns selbst lernen, und auch ein gewisses Maß an Arbeit/Disziplin darin steckt. Disziplin jeden Tag um 5:30 aufzustehen und regelmäßig an den Meditationen teilzunehmen. Es ist auch etwas Arbeit in dem Sinn, dass wir uns auf unsere eigenen Gefühle konzentrieren und für die Gefühle von anderen Menschen öffnen müssen. Mit dem aufgefüllten Tank versuchen die Menschen in der realen Welt wieder ihr Leben zu gestalten und die Achtsamkeit auch dort in den Alltag einfließen zu lassen.
Der Aufenthalt war für mich auf sehr vielen Ebenen sehr lehrreich. Mir gefällt, dass der Zugang dort sehr locker und offen ist, und die Stimmung von viel Wertschätzung, innerem Frieden und sozialen Engagement geprägt ist. Allein sechs Tage ohne Handy zu leben und sich in verschiedenen Achtsamkeitsübungen zu trainieren, ist unglaublich entspannend. Ich glaube, die Woche war entspannender für mich, als die drei Wochen Reha-Aufenthalt zusammen. Über die Zeit im plum village werde ich noch genauer an anderer Stelle berichten, um darauf hinzuweisen wie heilsam Gemeinschaften und soziale Unterstützung sein können.
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Mit voller Wucht zurück in die Realität
Nach diesem tollen Erlebnis habe ich vor dem Rückflug nach Wien leider sehr starke Rückenschmerzen bekommen. Und ich meine wirklich sehr starke Schmerzen. Ich weiß gar nicht, wie ich es geschafft habe die zehnstündige Reise von Bordeaux nach Wien zu überstehen. Ich dachte einfach, wenn ich Krebs überleben kann, dann werde ich es auch schaffen nach Hause zu kommen! In Wien hat sich dann herausgestellt, dass ich einen Bandscheibenvorfall hatte. Ich habe schon irgendwie gewusst, dass es das gibt und dass es nicht „leiwand“ ist, wie die Menschen hier in Wien sagen. Aber zu erfahren wie schlimme Schmerzen das sind, war wirklich ein großer Dämpfer für mich. Es hat drei Wochen gedauert, bis die Schmerzen wirklich nachgelassen hatten. Ich musste dreimal täglich eine Schmerztablette nehmen, die aber nur wenig halfen. Diese langanhaltenden Schmerzen waren psychisch sehr belastend. Ich dachte mir „was soll jetzt noch alles kommen“, nachdem ich eh schon so viel durchgestanden hatte. Es gab sehr viele Gefühle von Ohnmacht und Wut und auch viele Ängste. Ich dachte, dass mein Körper vielleicht jetzt erst gewisse Dinge zeigt und körperlicher Verfall oder Abbau durch die Therapie ans Licht kommt. Ich hatte viele Ängste, ob ich jemals wieder gesund werde und kann mich auch erinnern, dass es mich sehr passiv und depressiv gemacht hat.
So war ich ein Krebsüberlebender mit einem Bandscheibenvorfall und durfte auch von dieser Erfahrung viel lernen. So starke Schmerzen, die kaum zu beruhigen sind, hatte ich nämlich von der Krebserkrankung nicht, außer ganz am Anfang vor der Diagnose. Schmerzzustände sind besonders strenge Lehrende, die prüfen, wie es mit unserer Achtsamkeit und Fähigkeit im Hier und Jetzt glücklich zu sein aussieht. Was mir da wieder in Erinnerung gerufen wurde ist, dass die Zeit immer eine hilfreiche Ressource ist. Nach drei Wochen, konnte ich mich wieder ohne Schmerzmittel ganz gut fortbewegen.
Gleichzeitig, so als ob das nicht genug wäre, habe ich auch festgestellt, dass ich wie einen eitrigen Ausfluss beim Anus habe. Es hat sich dann bei einer Untersuchung herausgestellt, dass das eine Fistel ist (das heißt, wenn nach einem Abszess im Darm durch eine kleine Öffnung Eiter austritt) und dass der Auslöser dafür Feigwarzen sind, die durch HPV-Viren hervorgerufen werden. Das ist beides nicht lebensbedrohlich, aber sehr unangenehm und die Behandlung dauerte auch lange. Was ich bei dieser Sache gemerkt habe ist, wie stark gesellschaftliche Bilder auch in mir wirken. Ich habe mich sehr geschämt, nur weil es etwas mit dem Anus bzw. Sexualität zu tun hat. Im Endeffekt hat es aber gar nicht direkt damit etwas zu tun, sondern mit einer geschwächten Immunabwehr. Mehr oder weniger alle Menschen, die jemals sexuell aktiv waren, haben HPV Viren in sich, jedoch bricht die Erkrankung nur aus, wenn die Immunabwehr nicht passt. In Österreich wurde die HPV-Impfung auch im Schulimpfprogramm aufgenommen. Insofern hat es mich nach einem Jahr mit geschwächtem Immunsystem halt erwischt. Mit Zäpfchen und einer Minioperation kann man die Erkrankung behandeln und es wieder loswerden.
Jedenfalls war der Sommer damit nicht nur entspannend, sondern ich musste einsehen, dass erst jetzt die wirkliche Heilungsarbeit kommt. Ich habe gesehen, dass ich / mein Körper einfach sehr viel durchgemacht habe, und es jetzt meine Aufgabe ist mit viel Gespür und Aufmerksamkeit an die Aufbauphase zu gehen.
Herbst und Winter: Alle Kraft in den Aufbau
Nach einem dritten sehr entspannenden Urlaub in Katalonien (ohne Militärputsch und Bandscheibenvorfall, mir wurde „nur“ das Handy in der U-Bahn in Barcelona gestohlen) habe ich im Herbst sehr viel getan, um mich wieder aufzupäppeln. Ich werde auf diese verschiedenen Angebote noch an verschiedenen Stellen dieses Blogs genauer eingehen. Jedenfalls habe ich in diesen Monaten sehr viel Geld für alle möglichen Behandlungen und Kurse ausgegeben. Ich habe:
- mit TCM (Traditionell chinesischer Medizin) gearbeitet, um mein Immunsystem wieder aufzubauen
- mit Osteopathie und Physiotherapie an verschiedenen Verspannungen und Verkrampfungen gearbeitet
- ein 10-wöchiges Rückentraining mit der Grinberg-Methode gemacht und dabei viel über bewusste Atmung, Verspannungen und Umgang mit meinem Körper und Schmerzen gelernt
- ich war ein halbes Jahr in einer Psychotherapie ähnlichen Behandlung, das Psycho-Energetic-Training heißt. Dabei werden Techniken aus Achtsamkeit, Spiritualität, Körperarbeit und Psychotherapie kombiniert, um am eigenen Heilungsprozess zu arbeiten.
- Ich habe mit Kiesertraining begonnen, um systematisch und kontrolliert meine muskuläre Kraft aufzubauen.
- Ich bin zu einer Meditationsgruppe gestoßen, die in der Tradition von Thich Nhat Hanh praktiziert und bin zu regelmäßigen Meditationstreffen gegangen.
- Ich habe begonnen wieder ehrenamtlich ein bisschen zu arbeiten.
Sonst habe ich versucht mich gesund zu ernähren, viele Freunde zu treffen, möglichst entspannt zu bleiben und mein Leben zu genießen, also das zu tun, was ich auch schon sonst immer getan habe. Ab dem Frühling 2017 würde ich sagen, habe ich gemerkt, dass mein Körper langsam aber stetig stärker wird und ich bin in eine zukunftsorientierte Phase gekommen. Ich habe neue interessante Ausbildungen und Zugänge kennengelernt, bei denen es weniger um Aufbau nach der körperlichen Schwäche und Umgang mit der Krebsthematik ging, sondern allgemeiner um Potenziale und deren Entwicklung. Darüber werde ich bald im nächsten Blogbeitrag zu „meiner Geschichte“ berichten.
[…] was sich gerade so in meinem Leben tut und weswegen ich so lange nichts gepostet habe. Im letzten Artikel in dieser Rubrik ging es ja noch darum,was ich nach der Chemotherapie gemacht habe und ich bin im Jahr 2016 stehen […]